13Mai
2006

Vancouver (30 days - 8)


Der Abschied von Claire war kurz. Das war die einfachste Möglichkeit, den Abschied zu gestalten. Es ist schon ein seltsames Gefühl, nach einer so geistig wie körperlich intensiven Begegnung einfach weiter zu ziehen. Es war eines dieser „über den Weg laufen“, die das Leben unvermittelt zu bieten weiß. Es war so, wie es war, hatte seine Einmaligkeit und war auf seine Art ein rundes und abgeschlossenes Aufeinandertreffen. Natürlich tauschten wir Adressen und dennoch war uns Beiden bewusst, dass diese Geschichte genauso schnell ihr Ende wie ihren Anfang geschrieben hatte. Trotzdem stand dieses Gefühl im Raum, dass zu anderer Zeit und an anderem Ort manches Kapitel hätte folgen können.

Das Wetter auf der Schiffsfahrt von Prince Rupert nach Port Hardy war gut. Ein frischer und sonniger Frühlingstag, ideal für die „Inside Passage“. Die Fähre war nur halb gefüllt, so dass es an Bord nicht so unruhig und hektisch wie in den Sommermonaten, wenn die Karawanen von Reisegruppen kommen, war. Gleichmäßig schob sich die Fähre durch das Insellabyrinth vor dem Festland. Ich hatte mir einen Liegestuhl auf dem Vorderdeck gesucht und mich mit einem dicken Fliespullover und einer Decke vor dem kühlen Fahrtwind geschützt. Nach der letzten Nacht fiel ich manchmal in einen kurzen Schlaf. Berge, Inseln, Gletscher, Wälder und Wasserfälle zogen in immer neuen Varianten vorbei. Ein Pulk von Möwen bildete die Luftbegleitung. Mehrfach zog eine Delphinfamilie vorbei. Schön, wenn sie mit der ihnen eigenen Auf- und Abwärtsbewegung durch das Wasser gleiten. „Swim with the delfins“, ging mir der Slogan eines Plakats durch den Sinn, dass ich im Hafen gesehen hatte und im nächsten Moment mutierte der Satz zu „Swim with Claire“. Die Bilder der vergangen Nacht mischten sich immer wieder mit den Eindrücken der umgebenden Natur. So träumte und guckte ich mich die gesamte Fahrt über nach Süden.

Die Fähre kam in Port Hardy spät im Dunkeln an. Ich entschloss mich, auf dem Zeltplatz in der Nähe des Anlegers zu übernachten. Im neonbeleuchteten und von Mücken umschwärmten Empfangshäuschen, teilte mir der Pächter verschlafen mit, dass ich einfach irgendwo mein Zelt aufbauen könnte. Ich war fast ein bisschen stolz, dass es mir gelang, das Iglu ohne Probleme schnell aufzuspannen, hatte ich mich doch lange nicht mehr dieser technischen Herausforderung gestellt. Am nächsten Morgen war ich überrascht, wie gut der Campground belegt war. Viele Dauergäste mit ihren Caravans und Motorhomes waren da, oft Holzfäller und ihre Familien, die im nördlichen Teil von Vancouver Island saisonal arbeiten. Einige der Gäste schienen ständig hier zu leben. Die leicht herbe Atmosphäre, geprägt von Männern in Untenhemden, Wäscheleinen und Satellitenschüsseln ist vergleichbar der von Vorstadtsiedlungen mit weniger guten Ruf. Ich hatte keine Lust erst den Trangia Kocher aufzubauen und anzuwerfen, deswegen bin zum Zentralgebäude des Platzes, um einen ersten Kaffee zu trinken. Ein Frühstück hätte ich dort bekommen können, aber mir war nach einem Hauch Gemütlichkeit und ich bin die Straße bis in den Ort gelaufen. In einer Bäckerei, die mit „German Bread“ warb, war eine Sitzecke mit zwei Tischen eingerichtet. Zu den großzügig belegten Sandwichs, die tatsächlich beim Hineinbeißen einen gewohnten Widerstand bot, gab es nicht P&Gs Instant-Folgers, sondern richtig guten Filterkaffee.

Gegenüber war ein Friseur. Da ich noch etwas Zeit bis zur Abfahrt des Busses hatte, überlegte ich, ob ich die Gelegenheit nutzen sollte. Ich war mir nicht ganz schlüssig. Eigentlich kann man bei meinem Haarbestand nicht viel falsch machen, anderseits war da die Erinnerung an diese Friseuse in einem österreichischen Alpental, die fast nur mit Gewalt davon abzubringen war, mir so einen Hitlerjungenscheitel zu verpassen. Nichtsdestotrotz ging ich hinüber. Der Laden war sehr klein und seine Einrichtung hatte fast einen musealen Charakter. Es sah so aus, als hätte sich in den letzten 50 Jahren nichts geändert. Ein Mann indianischer Abstammung lächelte mich freundlich an und forderte mich auf, in einen der beiden Kunstledersitze Platz nehmen. Ich warf noch einen skeptischen Blick auf den altertümlichen Elektrohaarschneider in seiner Hand und schon begann er – ohne weitere Nachfrage – seines Amtes zu walten. Zehn Minuten später waren meine Haare zwei Zentimeter kürzer und ich musste eingestehen, dass er mit seinem Arbeitsgerät geschickter umgehen konnte, als ich das erwartet hatte.

Mittlerweile habe ich weitere neun Stunden Transport hinter mir, bis Nanaimo per Bus, anschließend mit einer Fähre zurück zum Festland und erneut mit dem Bus hinein in das Herz einer der schönsten Städte dieser Welt. Vancouver. Exakt mit einer Woche Verspätung habe ich die erste geplante Station dieser Reise erreicht. Ich sitze zwischen Canada Place und Seabus Terminal an der Uferbefestigung, lausche dem Plätschern des Wassers und lasse mich von der Aufführung der Großstadtlichter fesseln. Gegenüber glitzert in der gerade fortschreitenden Dämmerung North Vancouver von Minute zu Minute mehr. Ich habe keine Lust aufzustehen, aber die Suche nach einer Unterkunft steht noch an. Da ich für heute von den Bussen genug habe, entfällt die Gegend um die westliche 4st Avenue, also bleiben noch Gastown oder Downtown zur Wahl. Ich entscheid mich für Downtown, marschiere die leichte Steigung Richtung Georgia Street hoch, wobei der Rucksack lästig im Rücken drückt. Deswegen biege ich schon nach zwei oder drei Kreuzungen in die nächste Querstraße. Ein paar Meter weiter lese ich über dem Eingang eines Backsteinbaus „Hotel“. Dem Gebäude sieht man sein Alter an und das Gestell aus Feuerleitern wirkt wie ein riesiger Käfig. Der Empfangsbereich ist gefüllt mit Plüsch und angejahrten Pseudo-Antiquitäten, was wohl ein seriöses und nobles Bild abgeben soll. Egal, der Preis ist OK, ich checke ein. Wie vermutet, hört der „Glanz“ der Empfangshalle schon im Fahrstuhl auf. Quietschend befördert der mich in den dritten Stock. In seinen durch abgeblätterten Lack gemusterten Wänden suche ich Figuren. Die Fenster meines Zimmers gehen in den Hof hinaus. Ich ziehe der Stuhl zum Fenster, öffne es, ein angenehmer Zug bringt die frische Abendluft in den Raum. Plötzlich ist diese unbändige Lust nach einer Zigarette da, aber auf Reisen rauche ich ja nicht.
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ライブチャット 素人 Very pleasant time…
ライブチャット 素人 (Gast) - 6. Dez, 03:25
Sollte es zur Frauen-WM...
Sollte es zur Frauen-WM nicht auch ein Volksfest geben?...
Oliver (Gast) - 14. Aug, 11:46
Ente gut, alles gut...
...so sieht's aus. Ein paar Bilder aus'm Schlachthof...
heldentenor - 16. Sep, 17:43
ich glaube, dies ist...
ich glaube, dies ist ein veganerblog hier. gestern...
rosmarin - 31. Jul, 19:52
ok.... ich hab in meiner...
ok.... ich hab in meiner verzweiflung versucht, in...
rosmarin - 23. Jul, 01:05
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2005-11-21 19:44

Zuletzt aktualisiert:
25. Okt, 13:37

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