2Mai
2006

Abflug (30 days 1)


Die Rolltreppe rollt nach oben und ich rolle mit ihr. The sound of silence erklingt in meinen Ohren, Dustin Hofmann rollt vor meinen Augen in die Reifeprüfung hinein. Eine geradezu ritualisierte Assoziation, die mich an diesem Ort wie programmiert regelmäßig erfasst. Der Ort bietet keine Silence, ich habe mit Dustin Hofmann wohl nicht allzu viel gemein und eine Reifeprüfung steht mir auch nicht bevor. Die Rolltreppe führt vom Tiefbahnhof in die Schalterhalle B des Frankfurter Flughafens. Es ist Dienstag und es ist voll wie immer, daher spielt es keine Rolle, dass heute Dienstag ist. Tausende von Menschen aller Herren Länder rennen kreuz und quer und versuchen sich durch Ansagen beschallt zu orientieren, um mit hunderten von Flügen irgendwo auf der Welt in einer ähnlichen Szenerie zu landen.

Die folgenden zweieinhalb Stunden werden ähnlich nach bekannten Mustern verlaufen. Das beginnt mit dieser nun aufkommenden leichten Hektik in mir, da ich schnell zum Checkin Schalter will, um möglichst einen Fensterplatz zu bekommen. Die Hektik wird durch mein Gepäck gefördert. Im großen Rucksack stecken das Kuppelzelt und der Sturmkocher, das macht mindestens vier Kilo mehr im Vergleich zum Standardgepäck aus, die ich auf den Schultern deutlich spüre. Aber Svashtara meinte, ich sollte jetzt spontan 30 Tage auf Tour gehen und daher habe ich mich für das Expeditionsgepäck entschieden. Die Schnüren des zweiten Rucksacks, der mir als Handgepäck dient, baumeln mir zwischen den Beinen, was mich genauso nervt, wie die das ältere Paar vor mir, was mir innerhalb von zwei Minuten dreimal ihren Gepäckwagen vor meine Füße schiebt. Kurz orientiere ich mich an der Übersichtstafel, wo mein Schalter zum Einchecken ist. Erwartungsgemäß muss ich hinüber zu Terminal 2. Auch die Fahrt mit den Skytrain verläuft nach einem bekannten Muster. Es gibt immer Passagiere, die aus irgendeinem Grund beim Einsteigen oder Verlassen Probleme haben und für einen Moment die Tür blockieren. Die Schlange am Checkin ist kürzer als befürchtet. Die Hektik in mir nimmt wieder ab. Eine viertel Stunde später halte ich den Boardingpass in der Hand, der mir einen Fensterplatz bestätigt. Ich bin zufrieden. Der große Rucksack hat sich in die Katakomben der Gepäckbänder begeben und ich habe jetzt noch knappe zwei Stunden bis zum Abflug zu überbrücken.

Ich schlendere durch die große Halle, bleibe für ein paar Minuten an zwei oder drei Auslagen stehen, um sie zu betrachten. Fünf Minuten später habe ich schon wieder vergessen, was ich da betrachtet habe. Ich habe noch vier Zigaretten einstecken. Auf Reisen rauche ich nicht, aber die Reise hat noch nicht begonnen, also begebe ich mich in eine Raucherzone, zünde mir eine an und rauche im Bewusstsein, nur noch drei zu haben, sehr langsam.

Ich gehe nie zu Mac Donalds, aber auf Fraport gehe ich immer zu Mac Donalds und um auch diesen Ritus einzuhalten, gehe ich zu Mac Donalds. Der obere Bereich des Terminals, wo der Fastfoodgigant residiert, ist von der Geräuschskulisse des Bällchenbades gefüllt. Das Flughafen Mac Donalds ist ein beliebtes Ausflugsziel, regelmäßig werden dort ganze Kindergeburtstag abgehalten. Auch ich fahre mit Kinderbesuch mitunter hier hin. Ich stelle mich in eine der sechs oder sieben Reihen an, die erstaunlich schnell bedient werden. Meine Wahl fällt auf eines, der auf bunten Tafeln angepriesenen Menüs, ich ordere ein Wasser zusätzlich, kann der Bedienung jedoch nicht vermitteln, dass ich das zum Menü gehörende Spielzeug nicht benötige und schenke daher die Plastikteile, dem Kind, das hinter mir steht. Ich finde einen freien Platz an der großen Fensterfront, schau dem Geschehen auf dem Rollfeld etwas zu, esse meinen Burger und meine Pommes mit den Fingern, ziellos wandert zwischendurch mein Blick durch die Reihen der anderen Besucher und bleibt kurz bei zwei Frauen hängen, wahrscheinlich Mutter und Tochter, die in ihrer sehr ähnlichen Attraktivität ein schönes Bild abgeben. Im nächsten Moment bindet das laute Kreischen einer anderen Mutter meine Aufmerksamkeit, die wiederholt ein Mädchen im Vorschulalter anschreit, sie möge „ihren beschissen Burger auffressen“.

Nach einer halben Stunde verlasse ich Mac Donalds, rauche die zweite Zigarette und begebe mich durch die Passkontrolle zu den Gates. Die Uhr sagt, dass immer noch fast eine Stunde Zeit bis zum Abflug ist. Das Zeittotschlagprogramm wird fortgesetzt. Zwei Dutyfreeshops, ein Zeitschriftenladen und eine weitere Raucherzone beschäftigen mich für weitere 30 Minuten, danach begebe ich mich in den Wartebereich des Gates, der schon halb gefüllt ist. Mir gegenüber sitzt ein Pärchen, beide etwa Mitte Zwanzig. Sie blättert in einem Kanada-Reiseführer, er hat ein Laptop auf seinen Oberschenkeln postiert und bearbeitet die Tastatur mit starren Blick energisch. In der Zeit bis zum Boarding versucht sie mindestens fünfmal ihn anzusprechen, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, er reagiert praktisch gar nicht, tippt weiter mit unverändert starren Blick auf das Laptopdisplay, auch als sie ihren Arm auf seine Schultern legt. Ihr nettes Gesicht wird immer finsterer. Ich glaube, die werden einen tollen Urlaub haben. Eine große Reisegruppe hat sich eingefunden und belagert ihre Reiseleiterin. Parallel wird sie offensichtlich mit vier oder fünf Fragen gleichzeitig bombardiert. Die Uhr zeigt nun die offizielle Boardingzeit an, was prompt zu einer Rudelbildung am Ausgang führt, obwohl noch kein Aufruf erfolgt ist. Ich verlasse den Wartebereich, um die Toilette aufzusuchen und die letzte Zigarette zu rauchen. Kurz nach mir findet sich die Reiseleiterin in der Raucherzone ein. Sichtbar genervt steckt sie sich hastig eine Zigarette an und inhaliert tief. Kurz treffen sich unsere Blicke, ich versuche sie anzulächeln, sie lächelt zurück. Jetzt ertönt die Ansage, dass mit dem Boarding meines Fluges nach Vancouver begonnen wird.

Eine halbe Stunde später rolle ich vorbei an Terminal 1, den langen Lufthansafinger, der großen Wartungshalle und den Tankanlagen zur Startbahn West. Nach einem kleinen Stopp heulen die Turbinen auf, die Boing beschleunigt, ich bin auf das Fenster fixiert, sehe wie wir über den Wald abheben, suche bekannte Punkte am Boden, erkenne die Autobahn und Darmstadt. Die Maschine setzt zu einer weiten Linkskurve an und ändert ihre Richtung um 180 Grad nach Norden. Die Reise hat begonnen.

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Trackbacks zu diesem Beitrag

40plusx.twoday.net - 3. Mai, 10:39

Landung (30 days 2)

Es gibt kaum Wolken, daher kann ich... [weiter]
rosmarin - 2. Mai, 16:32

juhuuuu..... herr üwüvierzich is auf reisen..... und outet sich wieder mal als feinster beobachter....

ElsaLaska - 2. Mai, 16:44

Grübel.

Wohin denn nur, wohin ... Links und dann nach Norden .... hmpf.

40plusX - 2. Mai, 17:25

Richtung Westen ...

... soll der Flieger gehen. Wo ich da ankomme, das wird die nächsten Tage zeigen.
svashtara - 3. Mai, 00:46

Mensch,

du hast aber auch eine Art, mich mit deiner Geschichte zu fesseln. Ich liebe diesen Erzählstil, der so leicht erscheint und doch alles, was man an Informationen haben muss, in einem Rutsch erzählt. Toller Start in eine vielversprechende Reise.

Bianka (Gast) - 4. Mai, 15:02

Tolle Idee

Ganz fantastisch ... deine Worte regen den Regisseur in meinem Kopf wundervoll an, ich bleibe am Ball und beneide dich darum deine Phantasie so in Worte zu fassen!

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ライブチャット 素人 (Gast) - 6. Dez, 03:25
Sollte es zur Frauen-WM...
Sollte es zur Frauen-WM nicht auch ein Volksfest geben?...
Oliver (Gast) - 14. Aug, 11:46
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...so sieht's aus. Ein paar Bilder aus'm Schlachthof...
heldentenor - 16. Sep, 17:43
ich glaube, dies ist...
ich glaube, dies ist ein veganerblog hier. gestern...
rosmarin - 31. Jul, 19:52
ok.... ich hab in meiner...
ok.... ich hab in meiner verzweiflung versucht, in...
rosmarin - 23. Jul, 01:05
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