Vor 30 Jahren war ein Tattoo eine Taetovierung und solch eine Zierde bevorzugt bei Seeleuten oder Zeitgenossen, die hin und wieder in Haftanstalten logierten, anzutreffen. Damals reinigte man das Auto noch in der Autowaschstrasse und nicht im Super-Wash. Aber Zeiten, Begriffe und Moden aendern sich ja staendig, was prinzipiell auch gut so ist. Tattoos haben sich mittlerweile geradezu als Dauermode etabliert. Die letzten Jahre hat die Zahl der Tattoos, die hier am Strand in ihrer (fast) vollen Pracht zu bewundern sind, deutlich zu genommen. Dieser Koerperschmuck ist quer durch alle Altersgruppen und bei beiden Geschlechtern gleichverteilt. Als Nicht-Tattoo-Traeger rueckt man zunehmend an die Raender der Gauss-Glocke.
Eigentlich eine hoch logische Entwicklung. Ist es doch eine markante Eigenschaft von Mode, zwei geradezu antagonistische Beduerfnisse zu befriedgen, Zugehoerigkeit (zur Mehrheit) und individuelle Abgrenzung. Ich bin “in”, ich bin dabei, weil ich modisch bin. Ich bin besonders, bin eigen, da ich in der von der Gruppe akzeptierten Bandbreite, eine individuelle Form waehle. So betrachtet bietet das Tattoo als Massenerscheinung eine hochgradige Individualisierungsmoeglichkeit.
Andererseits eine sehr seltsame Entwicklung. Wenn man von der Hypothese ausgeht, dass sich schmuecken dem Verschoenern dient, so stellen die meisten Tattoos nicht gerade eine aesthetischen Zugewinn dar (ich weiss, sicherlich eine sehr subjective Sichtweise). Klar, es gibt jene Koerper, an denen ein Ornament auf der Schulter, am Oberarm, am Gesaessansatz oder wo auch immer sehr gut aussehen. Meistens Koerper, die ohnehin schon recht wohl geformt sind, an denen ein Tattoo den vorhandenen Reiz noch etwas betont (solange die Fitness aufrecht erhalten wird). Aber die meisten Tattoos zeichnen sich weder durch besonders orginelle Motive noch durch virtuose Realisierung aus. Da steht meistens die Leinwand aus rein technischen Gruenden im Weg. Gewoelbte, gefaltete oder verbrannte Hautflaechen sind nicht gerade der geeignete Grund fuer filigrane Zeichnungen.
Und so scheint mir manches Tattoo zwar auffallend, aber ich frage mich doch, ob sein Besitzer sich dadurch nun wirklich als attraktiver empfindet. Da ist beispielsweise dieser Mitdreissiger. Irgendwo so etwas ueber Einssiebzig, kraeftige Oberarme, natuerlich rundum bebildert. Ansonsten wie bei vielen Maennern hier und da ein paar Pfund zu viel, insbesondere das, was gemeinhin als Bierbaeuchlein bezeichnet. Auch auf dieser Anhoehe findet sich naturlich ein Tattoo, ein skelettierter Fisch. Ich muss mir dieses gelungene Werk immer wieder anschauen und frage mich, welche Frau steht wohl auf "Fischgraete auf Speckbauch". Aber vielleicht ist der Kerl auch schwul. Diese Insel ist ja bei Homosexuellen recht beliebt. Ich versuche mir also vorzustellen, schwul zu sein, was allerdings schon im Ansatz misslingt und gebe es dann doch auf, den aesthetischen Wert der Fischgraete zu erfassen. Vielleicht sollte ich es einfach lassen, ueber Tattoos nachzudenken. Irgendwie ist das wohl nicht ganz mein Ding.